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Foto: Danijel Grbic, Bebop Media
Foto: Danijel Grbic, Bebop Media

Dankesworte von Bushra al-Maktari, Aktivistin und Buchautorin aus dem Jemen

Sehr geehrte Freunde und Organisatoren des Johann Philipp Palme-Preises für Meinungs- und Pressefreiheit,

Von Herzen danke ich Ihnen, dass Sie mir die Ehre erweisen, diesen Preis mir und meinem Kollegen, dem chinesischen Schriftsteller  und Verleger Gui Minhai, zu verleihen. Ich wünsche mir sehr, dass er bald wieder freikommt – und mit ihm all die Häftlinge in den Gefängnissen der Konfliktparteien  in meinem Heimatland. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Festakt in Deutschland  hätte stattfinden und ich mit meinem Freund Gui Minhai persönlich hätte teilnehmen können. Aber die Corona-Infektionsschutzmaßnahmen haben meine Reise verhindert. Deshalb müssen Sie den Festakt auch virtuell abhalten. Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und dass die Pandemie bald ein Ende finden möge und die Welt wieder aufatmen kann.

Liebe Freunde,

Es hat mich sehr überrascht, als Preisträgerin ausgewählt zu werden, da insbesondere Schriftsteller und Journalist die noch im Jemen leben, normalerweise kaum Beachtung finden, obwohl sie großen Widrigkeiten und täglichen Gefahren ausgesetzt sind. Umso mehr freut es mich, von Ihnen mit diesem Preis geehrt zu werden.

Ich erhielt die Nachricht von meiner Auszeichnung von Monika Bolliger, einer Journalistenfreundin, der ich sehr danke, weil sie eine überragende Rolle bei der Übersetzung meines Buches “Was hast du hinter dir gelassen?” ins Deutsche gespielt hat. Und ich danke auch der Übersetzerin, meiner Freundin Sandra Hetzel, der Verlegerin Sylvie Horch vom Ekon-Verlag und meiner Literaturagentin Nina Sillem, außerdem auch meiner Freundin Annette Krönert, Herrn Prof. Dr. Ulrich Palm und dem ganzen Team der Palm-Stiftung e.V., sowie der Journalistin Christiane Schlötzer, die mich für die Auszeichnung vorgeschlagen hat.

Liebe Freunde,

Die Situation, die wir Schriftsteller und Autoren im Jemen erleben, ist außerordentlich schwierig und hart. Wer sich öffentlich äußert, riskiert, von Anhängern der Konfliktparteien bedroht und diffamiert zu werden. Mehrere Autoren und Schriftsteller haben in diesem Krieg bereits ihr Leben gelassen, weil sie versucht haben, Kriegsverbrechen aufzudecken. Unser Bewegungsspielraum ist sehr beschränkt. Wir müssen ständig damit rechnen, bedroht und verhaftet zu werden. Für diejenigen, die versuchen, die Konfliktparteien beim Namen nennen, ihre Verbrechen aufzudecken, sind Verleumdungen an der Tagesordnung.

Während der gesamten Kriegsjahre waren Schriftsteller und Journalisten eine Zielscheibe der Konfliktparteien. Dutzende befinden sich noch immer in den Gefängnissen der Huthis. Manche von ihnen sind zum Tode verurteilt worden. Zwar haben die Huthis in jüngster Vergangenheit vier Journalisten freigelassen, aber der Kollege Taufiq al-Mansuri befindet sich seit mehr als fünf Jahren im Gefängnis und sein Gesundheitszustand hat sich erheblich verschlechtert. Dennoch weigern sich die Huthi-Behörden, ihn freizulassen.

Es befinden sich außerdem in Haft

  • der Journalist Sultan Ahmad Qatran, der seit drei Jahren in der Provinz Hadramaut einsitzt
  • der Journalist Abdallah Bakkir, der ebenfalls seit drei Jahren im Gefängnis für politische Sicherheit in Mukalla inhaftiert ist
  • in Mareb, das der Kontrolle der international anerkannten Regierung untersteht, ist der Journalist Muhammad Ali al-Muqri seit Jahren in Haft
  • vor einigen Monaten wurde auch der Journalist Shadhli Saeed festgenommen. Er wird in einem Gefängnis des Südlichen Übergangsrates in der Provinz Lahg festgehalten
  • im selben Gefängnis wurde vor ihm auch schon der Journalist und Fotograf Asil Suweid gefangen gehalten und gefoltert
  • desgleichen auch der Journalist Radhwan al-Hashidi im Gefängnis der Stadt Mareb
  • In Dhamar wurde vor wenigen Wochen der Aktivist Omar Manna von den Huthis verhaftet, weil er etwas auf Facebook gepostet hatte. Er wurde zwei Mal festgenommen und wieder freigelassen
  • Zu Beginn dieses Jahres wurde der Fotojournalist Nabil Quaiti in Aden von Bewaffneten ermordet

Auch Akademiker wurden verhaftet, darunter Dr. Adnan Sharjabi, Professor für Psychologie an der Universität Sanaa. Er war über einen Monat lang in Haft und starb wenige Tage nach seiner Entlassung an den Folgen der erlittenen Misshandlungen. Auch viele seiner Kollegen starben an den Folgen von Folter und Misshandlung. Bis heute ist Dr. Hamid Aqlan, Präsident der Universität für Wissenschaft und Technik, in einem Gefängnis der Huthis in Sanaa inhaftiert.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass das Schreiben über Kriegsverbrechen im Jemen einer Art Freifahrkarte in den Tod gleichkommt. Es ist reine Glückssache, das zu überleben. Für die Jemeniten im Allgemeinen und für Autoren und Journalisten im Besonderen, bietet das Land keinerlei Sicherheit.

Liebe Freunde,

Als ich mein Buch über die Opfer schrieb, hoffte ich, dass die Welt etwas von dem Krieg im Jemen hört, und dass sie erfährt, wer diese schlimmen Verbrechen an den Jemeniten begeht. Ich wollte mit dem Buch aufzeigen, wer für grausamste Menschenrechtsverletzungen, für Mord, Vergewaltigungen und außergerichtliche Hinrichtungen verantwortlich ist. Trotzdem  begleitet uns der Tod im Jemen täglich. Innerhalb von nur einer Woche starben über 50 Zivilisten durch den Beschuss von Huthi-Milizen in Taiz und Hudeida. Dazu kommen Dutzende von Opfern, die Minen zum Opfer fallen, die die Milizen in Hudeida, Mareb und Al-Jauf vergraben haben. Dann gibt es die Todesopfer der Luftangriffe Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, der sogenannten Arabischen Koalition, in den Grenzregionen. Darüber hinaus gibt es Attentate in den größeren Städten des Jemen und oft werden die Leichen der Erschossenen auch noch geschändet. Ein Beispiel dafür ist der Mord an Dr. Asil al-Djabzi, der in der Stadt Taiz von Mitgliedern der Islah-Partei  getötet wurde, dem jemenitischen Zweig der Muslim-Brüder. In Taiz, Shabwa, Abyan und Sanaa kommt es regelmäßig zu Attentaten und außergerichtlichen Hinrichtungen durch Mitglieder der Konfliktparteien. Es sind unschuldige Zivilisten, die den Preis für Krieg und systematische Gewalt bezahlen.

Autoren und Journalisten im Jemen sehen sich mit einer unbeschreiblichen Situation konfrontiert. Die humanitäre Krise im Jemen ist kaum in Worte zu fassen. Selbst ein Begriff wie „Hungersnot“ bleibt abstrakt und kann nicht im Ansatz das Leid der Menschen im Jemen beschreiben.

Nachdem die anerkannte Regierung im Jahr 2016 die Zentralbank von Sanaa nach Aden verlegt hat, erhalten über eine Million Staatsangestellter in den von Huthis kontrollierten Gebieten kein Gehalt mehr. Sie sterben, weil sie sich keine Medikamente kaufen können. Selbst die Wirtschaft haben die Konfliktparteien in eine Waffe gegen unschuldige Bürger verwandelt. Sie haben die Ressourcen des Staates zu ihrem eigenen Nutzen geplündert und stattdessen ein Kriegsnetzwerk  errichtet, das sich auf Kosten der jemenitischen Bevölkerung bereichert. Gleichzeitig leiden Millionen Menschen Hunger und sterben an den schlechten Lebensbedingungen oder fehlender medizinischer Versorgung.  
Meine Cousine in Taiz starb, weil sie keine Insulinbehandlung bekam. Eine weitere Cousine starb an der Grippe, weil es in Hudeida, wo sie wohnte, kein geeignetes Krankenhaus gibt. In Sanaa starb mein Kollege, der Journalist Bashir al-Sayyid, weil er im Krankenhaus nicht ausreichend behandelt wurde.

Liebe Freunde,

Die Armut wird den Jemeniten von den Konfliktparteien aufgezwungen. Daneben blüht die Kriegswirtschaft. Jene Kriegswirtschaft, die von den Huthi-Milizen in Sanaa kontrolliert wird, aber auch diejenige in anderen Hauptstädten der Region, wie Damaskus, Teheran und Beirut, von wo aus die Huthis unterstützt werden. Auf der anderen Seite betreiben auch die Behörden der anerkannten Regierung ihre Kriegswirtschaft in jenen Teilen des Jemens, die ihrer Kontrolle unterstehen, und diese wiederum haben ihre Unterstützer in Kairo, Jordanien und Europa. Von Kairo und Abu Dhabi aus betreibt der Südliche Übergangsrat ebenfalls seine Kriegswirtschaft, und nicht anders macht es die Islah-Partei, eine der Gruppierungen, die die anerkannte Regierung unterstützen, und die von Qatar, Kairo und Malaysia aus den Militärapparat dominieren. Alle diese Gruppierungen und Staaten, die seit langem den Jemen als Waffenmarkt oder als Hinterhof des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und dem Iran betrachtet haben, profitieren von dem Krieg im Jemen und es ist ihnen daran gelegen, den Krieg weiter zu schüren und das Leid der Jemeniten ohne Aussicht auf ein Ende zu verlängern.

Liebe Freunde,

Der Krieg war eine Entscheidung, die im Jemen selbst fiel und zwar am 21.9.2014, als die Huthi-Milizen mit Unterstützung des Iran und den Streitkräften des ehemaligen Präsidenten Ali Abdallah Saleh gegen die legitime Regierung putschten. Diese Tatsache lässt sich nicht leugnen. Nachdem daraufhin Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Staaten der Arabischen Koalition zu Hilfe rief, begann im Jemen ein Regionalkrieg.  Jetzt, nach sechs Jahren, wird dieser Krieg nicht mehr nur von einheimischen Konfliktparteien geführt, die Hilfe aus dem Ausland bekommen, sondern der Iran unterstützt die Huthis direkt, die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen den Südlichen Übergangsrat, Qatar und die Türkei unterstützen die Islah-Partei und Saudi-Arabien die anerkannte Regierung. So liegt der Wille zum Krieg nicht mehr in den Händen der jemenitischen Konfliktparteien, sondern es sind ausländische Großmächte, die den Krieg in unserem Land befeuern und verlängern, um ihre Waffen absetzen zu können. Es ist traurig, unmenschlich und unmoralisch, dass Jemeniten im Interesse ausländischer Mächte getötet werden.

Liebe Freunde,

Es ist die Verantwortung des Schriftstellers im Krieg, denselben zu dokumentieren und die Gräueltaten, den Tod, den Alltag im Zeichen des Krieges, mit all dem, was er an Leid hervorbringt, zu dokumentieren. Er muss beschreiben, was er sieht, um die Stimmen der einfachen Menschen, die von den Konfliktparteien und internationalen Mächten ignoriert werden, hörbar zu machen. Es ist die Pflicht von Schriftstellern, Intellektuellen und Menschenfreunden im Jemen, in Deutschland und überall auf der Welt, ihre Stimme gegen den Krieg im Jemen zu erheben. Auch, wenn der Krieg eines Tages enden wird, so sterben doch im Jemen in diesem Moment, in jeder Minute, Menschen in einer Gewaltspirale von Mord, Hunger, Anschlägen und Hass.

Liebe Freunde,

Wir verschieben unser Leben ans Ende dieses Krieges, wissen aber nicht, wann das sein wird. Trotzdem hoffen wir auf einen baldigen Frieden und darauf, dass unsere Freunde aus dem Exil wieder in ihre Heimat zurückkehren können, dass die Angehörigen der Opfer aufatmen, um ihre Toten weinen und sie zumindest angemessen bestatten können und dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Bis dahin gibt es nichts anderes als Krieg. Wir erleben Tod, Angst, Schrecken und Trauer . Wir wollen unser menschliches  Leben wieder zurück! Wir haben es verdient, wir sind so unsagbar müde von diesem endlosen Sterben.

Liebe Freunde,

Ich danke Ihnen noch einmal, dass Sie mich mit diesem Preis ehren und ich hoffe, dass Frieden in der ganzen Welt einkehrt. Ich entbiete meinen Gruß allen Opfern des Krieges im Jemen, in Syrien, Libyen, im Irak und in Palästina. Ich gedenke der Opfer der Explosion von Beirut, sowie der Opfer des Corona-Virus und anderer Seuchen weltweit. Freiheit für meinen Freund und Kollegen Gui Minhai und alle Gefangenen der Konfliktparteien im Jemen.

 

In herzlicher Verbundenheit, Bushra al-Maktari, Sanaa am 5. Dezember 2020

 

Aus dem arabischen Original von Dr. Günther Orth, Berlin. Vorgetragen am Festakt in Abwesenheit der Preisträgerin in einer Entwurfsversion durch Heiderose Maaß, Vorstandsmitglied der Palm-Stiftung e.V.