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Gui Minhai

Inhaftierter Buchhändler und Verleger aus China (schwedischer Staatsbürger)

Offener Brief der Tochter Angela Gui zum Todestag des Buchhändlers Palm am 26.8.2020

Es ist sowohl seltsam als auch traurig, die zahlreichen Parallelen zwischen dem, was meinem Vater in den letzten Jahren widerfahren ist, und dem, was Johann Philipp Palm vor über 200 Jahren widerfahren ist, zu beobachten.

Im nächsten Monat jährt es sich zum fünften Mal, dass mein Vater von chinesischen Agenten illegal entführt wurde. Seit seine Verhaftung öffentlich bekannt gegeben wurde, habe ich weder Informationen über seinen Gesundheitszustand noch darüber, ob er überhaupt noch lebt, erhalten. Seit Januar 2018 war es mir nicht möglich, mit ihm zu sprechen.

Dieser Zustand wird derzeit zur Realität für eine wachsende Zahl von Menschen innerhalb oder außerhalb Chinas, die Kritik an der Führung des Landes äußern. Es gibt immer weniger Plattformen, auf denen es möglich ist, frei über China und seine Politik zu diskutieren, nicht zuletzt in Hongkong. Kritiker oder Familienangehörige von Kritikern im Ausland werden eingeschüchtert, bedroht und zum Schweigen genötigt. Und das jüngste Gesetz zur nationalen Sicherheit in Hongkong bedeutet, dass das, was die chinesische Regierung meinem Vater angetan hat, jetzt legal ist.

Diese Entwicklungen zeigen, dass Palms Kampf für die Meinungs- und Pressefreiheit noch lange nicht beendet ist.

Eigene Kanäle

  • Kampagnen-Homepage seiner Tochter, Angela Gui

 

Gui Minhai: Der Hase und der Krieg

Ein Krieg,  vom heiteren Himmel
Aus dem Einkauf zurück, schon verwickelt in Schuss und Feuer
Ohne Kriegserklärung.
Der Angriff aus dem Hinterhalt traf mich in einem fremden Land.

Die Rakete zielt auf einen Vogel
Das Kriegsschiff trifft einen Fisch im Fluss
Auf einer Seite Soldaten mit Waffen
Auf der anderen Bücher über Skandale.

Später hört man, der Grund sei,
Die Kriegsmaschine fühlte sich durch die Skandale bedroht.

Wenn ein automatisches Gewehr auf einen Stift schießt
Wird die Geschichte zerfetzt.
Von Kugel getroffene Sprache wird zu gebrochenem Schilf
Blutige Sätze schwimmen auf dem Fluss

Krieg ohne Widerstand wird zum Jagd.
Ein Feldhase bin ich, der in die riesige Falle purzelt
Zeig einen Schneidezahn hinter dem Zaun
Oh, es wird ein weiterer Vorderzahn ausgeschlagen.

Geredet wird über diesen Krieg.
Gelächter drängt zu mir im Käfig.

(31. Dezember 2017, übersetzt von Tienchi Martin-Liao, Köln)

Dossier

Werk

Gui wurde 1964 in der ost-chinesischen Stadt Ningbo (südlich von Shanghai) geboren und zog mit 17 Jahren nach Peking, um Geschichte zu studieren. Dort begann er, erste Gedichte zu schreiben. 1988 ging er für ein weiterführendes Studium nach Göteborg. Im Zuge des Massakers auf dem Tiananmen Platz erhielt er 1989 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1992 ist Gui Minhai schwedischer Staatsbürger.

Nachdem er zwischenzeitlich wieder fünf Jahre in China lebte, zog Gui 2004 nach Deutschland, um als freier Autor von Büchern über die chinesische Regierung und als Verleger zu arbeiten. 2006 wurde er Mitglied des Independent Chinese PEN Centre und beteiligte sich aktiv an ihren Kampagnen für Meinungsfreiheit in China. In dieser Funktion reiste er zu internationalen Menschenrechtskonferenzen, wo er auch öffentliche Vorträge zur Situation in China hielt. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde Gui 2008 die Einreise verwehrt, als er seine Familie in China besuchen wollte.

2012 gründete er in Hongkong den Verlag Mighty Current Media, der sich auf die Politik der Kommunistischen Partei Chinas und auf das Privatleben führender chinesischer Politiker spezialisierte. 2014 erwarb Mighty Current die Hongkonger Buchhandlung Causeway Bay, in der viele Besucher aus dem chinesischen Festland Bücher erwarben, die in ihrer Heimat nicht erscheinen durften. Unter anderem waren Bücher über die Skandale chinesischer Politiker, die Gui Minhai unter dem Pseudonym Ah Hai verfasste und über Mighty Current selbst verlegte, sehr beliebt.

Gui war sich der Gefahr seiner Tätigkeit wohl bewusst und hielt sich vom chinesischen Festland fern. Er verbrachte viel Zeit in seinem Feriendomizil in Thailand. Dort hielt er sich am 17. Oktober 2015 auf, als er verschleppt und auf das chinesische Festland gebracht wurde. Das erste Lebenszeichen von Gui Minhai kam danach in Form eines Videos, das am 17. Januar 2016 im chinesischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, in dem Gui gestand, im Jahr 2003 ein Schulkind in einem Verkehrsunfall ums Leben gebracht zu haben. Nach wie vor wusste man aber nicht, wo er festgehalten wird.

Während vier seiner Kollegen aus dem Umfeld des Causeway Bay Buchladens, die ebenfalls im Oktober 2015 verschleppt wurden, im Laufe des Jahres 2016 wieder freikamen, wurde Gui erst im Oktober 2017 aus dem Gefängnis entlassen. Daraufhin lebte er abgeschirmt und streng überwacht in seiner Heimatstadt Ningbo, wo ihn weder seine europäische Familie noch seine Freunde kontaktieren durften.

Am 20. Januar 2018 saß er gemeinsam mit zwei Mitarbeitern des schwedischen Konsulats im Zug auf dem Weg zur schwedischen Botschaft nach Peking, als zehn chinesische Beamte in Zivil das Abteil stürmten und ihn abführten. Am 10. Februar gab Gui, flankiert von chinesischen Polizeibeamten, eine Pressekonferenz, in der er sagte, dass er in Zukunft in China bleiben wolle. Die schwedische Regierung bezichtigte er, ihn in eine Falle gelockt zu haben. Er erwäge nun, die schwedische Staatsbürgerschaft abzulegen. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass Gui diese Aussagen nicht aus freien Stücken gemacht hat.

Das war das letzte Mal, dass die Öffentlichkeit und seine Familie Gui Minhai gesehen bzw. von ihm gehört haben. Man vermutet, dass er in einem Gefängnis nahe Ningbo sitzt. Ein schwedischer Arzt, der ihn besuchen durfte, hat festgestellt, dass er unter einer schweren Nervenkrankheit leidet – wahrscheinlich ein Resultat seiner Haftbedingungen. Am 25. Februar 2020, während das Land aufgrund der Corona-Epidemie in weiten Teilen lahmgelegt war, verurteilte ein chinesisches Gericht Gui zu zehn Jahren in Haft, weil er geheime Informationen illegal im Ausland preisgegeben haben soll. Viele Regierungen, darunter Schweden und die USA, reagierten empört auf das Urteil und forderten seine sofortige Freilassung. 

Preise

Im Jahr 2018 erhielt Gui Minhai den Prix Voltaire der International Publishers Association (IPA). In ihrer Begründung sagte die IPA, Gui habe einen wichtigen Beitrag zur freien Verbreitung von Ideen geleistet und sich auf Menschenrechtskonferenzen und im Independent Chinese PEN Centre stark für Meinungs- und Publikationsfreiheit eingesetzt. Mit der Verleihung des Preises an Gui Minhai wollte die IPA seinen Mut auszeichnen, trotz der ihm bekannten Gefahren seine Werke zu publizieren. Außerdem wollte die IPA ein Signal an die Hongkonger Buchbranche senden, die sich seit dem Verschwinden Gui Minhais vermehrt in Selbstzensur übt. 2019 erhielt Gui Minhai den Tucholsky Preis des schwedischen PEN Zentrums, woraufhin der chinesische Botschafter mit schweren Konsequenzen gegenüber der schwedischen Regierung drohte und die schwedische Kulturministerin Amanda Lind, die an der Verleihung teilgenommen hat, zur persona non grata erklärte.

Angela  Gui

Gui Minhais Tochter Angela, die derzeit in Cambridge promoviert, setzt sich seit seinem Verschwinden stark für die Freilassung ihres Vaters ein. Unter anderem hat sie den Prix Voltaire an ihren Vater an seiner Stelle entgegengenommen. Im Februar 2019 wurde sie von der schwedischen Botschafterin in China zu einem Treffen in einem Stockholmer Hotel eingeladen, an dem einige chinesische Geschäftsleute mit Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas teilnahmen. Diese haben versucht, Druck auf sie auszuüben und ihr in Aussicht gestellt, dass ihr Vater aus der Haft entlassen werden könnte, wenn sie ihre Kampagne für seine Freilassung und jegliche öffentlichen Auftritte beenden würde. Die Anwesenheit der schwedischen Botschafterin vermittelten Angela Gui, dass dieses Treffen auf eine Initiative der schwedischen Regierung zurückgehe. Doch auf Nachfrage vermeldete ihr das Außenministerium, dass es nichts von dem Treffen wusste. Infolgedessen wurde die schwedische Botschafterin von ihrem Amt freigestellt. Am 9. Dezember 2019 wurde sie angeklagt, willkürlich mit einer ausländischen Macht verhandelt zu haben, worauf ein Höchstmaß von zwei Jahren Haft steht.

(IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.)