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Foto: Danijel Grbic, Bebop Media
Foto: Danijel Grbic, Bebop Media

Dankesworte von Štefica Galić, Menschenrechtsaktivistin, Fotografin und Journalistin aus Bosnien-Herzegowina

 

Ich fühle mich außerordentlich geehrt und danke allen, die es mir ermöglicht haben heute hier zu sein und diesen wichtigen Preis entgegen zu nehmen. Die Person, nach der dieser Preis benannt wurde, so verspreche ich, wird mir Inspiration und Ansporn sein in meiner weiteren Arbeit, im Kampf für eine bessere und gerechtere Welt.

Diese Auszeichnung erhalte ich zu einem Zeitpunkt als ich fast den Glauben an das Gute und Gerechte verloren habe. Der Preis kommt nicht aus meinem Land, sondern von Ihnen, aus Deutschland. Ich komme nicht umhin an das Sprichwort zu denken, wonach der Prophet im eigenen Land nichts wert ist. Es ist wie es ist; ich bin glücklich, dass jemand mein jahrelanges Engagement und den Kampf erkannt hat. Ich arbeite und kämpfe und hätte weder gedacht, dass ich jemals dafür einen Preis erhalten würde, noch habe ich dies je erwartet. Meine gesamte Aktivität ist das Resultat dessen, was ich als meine moralische und menschliche Pflicht empfinde. Nicht weniger und nicht mehr als das.

Ich kämpfe, um es ganz konkret zu sagen, gegen ein System, dem der Nationalismus und Klerikalfaschismus das Maß der Dinge ist, das seine "eigenen Verbrecher" als Helden feiert und dies als einen patriotischen Akt betrachtet; gegen ein System, das mit Menschenleben und ihrem Vermögen Handel treibt, dessen Bildungssystem zukünftige Soldaten hervorbringt, die alles hassen werden, was nicht zu ihnen gehört; wo nationalistische Parteien ständig die Wahlen gewinnen... Dieses System, das ist mein Feind!

Bosnien-Herzegowina ist ein schönes Land, zerstört durch ein schreckliches Staatsgebilde. Ich mag es nicht beschönige, auch wenn dies manchem vielleicht zu grob klingen wird: Bei uns regieren seit über einem Vierteljahrhundert mit einander vernetzte Nichtsnutze – drei Ethno-Kartelle. Sie haben uns entzweit, uns in den Krieg geführt, sie haben getötet, uns in alle Teile der Welt vertrieben, das gesamte Gesellschaftsvermögen geplündert und tun dies weiterhin. Sie hinterlassen nur Verwahrlosung: moralisch und materiell, nichts Gutes.

Die freie Rede wird geknebelt, Gerichte werden unter politische Kontrolle gestellt, mit "demokratischen" Mitteln wird der demokratische Raum verengt, eine Atmosphäre der Angst, Armut und Apathie breitet sich aus. Angst und Unwissenheit sind die Grundlage allen Leids und die beste politische Waffe. Menschen glauben nicht mehr an das, was sie mit eigenen Augen sehen, sondern den Worten ihrer Führer, die den öffentlichen Raum mit ihren Lügen vergiften über die Medien, die ihnen dienen. Das Resultat ist die massenhafte Abwanderung junger Menschen mit ihren Familien, denn sie wünschen sich eine Zukunft und ein normales Leben und keine Rückkehr in die Vergangenheit.

Ich möchte mich nicht beklagen, aber Tatsache ist, dass ich mich täglich mit diesem System auseinandersetzen muss – mit der Polizei, den Gerichten und dem rechten Mob auf der Straße... Wegen meinem Engagement habe ich fast alles verloren, vom guten Ruf bis zur Existenz. Viele haben mir den Rücken gekehrt, die ich als Freunde und Familie angesehen hatte... Auf der anderen Seite – und dies ist trotz alledem eine große Ermutigung ist – gibt es sehr viele Menschen, die zu mir stehen, mich unterstützen und mir helfen... Warum? Weil ich die Wahrheit ausgesprochen habe, weil ich das gesagt habe, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Trotz all den Entbehrungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit bin ich nie vom Prinzip der Menschlichkeit abgewichen. Ich habe nicht der Teilung, nationaler Erpressung und Einschüchterung zugestimmt, nicht der "offiziellen Wahrheit" und den "alternativen Tatsachen" der neuen Realitätsfälscher und der alten Rachsüchtigen.

Ich habe alldem nicht zugestimmt und stimme weiterhin nicht zu, auch wenn wir, die der Überzeugung sind, dass es keine Ausreden oder Umstände gibt, die Kriegsverbrechen, Lager und Vertreibungen rechtfertigen können, nur aus dem Grund, weil jemand einen anderen Namen, Religion oder Nationalität besitzt, als nationale Verräter bezeichnet werden. Trotz der Haager Urteile, trotz der Verfahren vor den Gerichten in Bosnien-Herzegowina, wird auf allen Ebenen beharrlich die Wahrheit verdrängt.

Gerade deswegen beharre ich darauf, wie wichtig und unvermeidlich es ist, sich der Wahrheit über die Vergangenheit zu stellen. Mein Standpunkt ist, dass ein Verbrechen zu vergessen ein Verbrechen ist. Ich stehe nicht gegen eine gemeinsame Zukunft aller in Bosnien-Herzegowina, allerdings nur wenn alle Gräuel der Vergangenheit aufgearbeitet und die Opfer um Vergebung gebeten werden. Denn ohne dies gibt es keine Katharsis; ohne diesen Schritt besteht die reale Gefahr, dass sich das Geschehene wiederholt. Und wiederum bin ich ganz direkt: Es wird alles daran gesetzt das Land zu spalten, um einzelne Teile an Kroatien und Serbien anzugliedern, d.h. an zwei Staaten, die Aggressoren gegen Bosnien-Herzegowina in den 1990er Jahren waren. Diese Aggression, die zuerst militärisch war, dann wirtschaftlich und nun diplomatisch, hat nie aufgehört, sondern sie hat nur die Form gewechselt.

Ich möchte nochmals auf die Rolle der Medien zurück kommen, denn viele von ihnen haben zu diesem Auseinanderbrechen und dem allgemeinen Elend beigetragen: Manche Journalisten sind durch das Aufgeben ihrer Professionalität und Ethik zu Dealern des Hasses und einem Instrument des Konfliktes geworden. Ohne Reporter wäre dieser Krieg nicht möglich gewesen. So war es bei uns in den 1990gern, so ist es leider noch heute.

Der giftige Wortschatz des Hasses, der Radikalismus, die Akzeptanz der Gewalt als etwas Normales, wie auch Fake News, Diskriminierung, hysterische Fremdenfeindlichkeit gegenüber Migranten, all das bestimmt unseren Alltag. Die Gesellschaft ist gelähmt von Tabus, Irrtümern, einer Flut geschichtlicher Revisionismen, Selbstbetrug, Korruption und allgemeiner Unsicherheit.

Heute erscheint es uns, als ob unser Nationalismus eine Art rechter "Avantgarde" gewesen sei, ein Vorbote für das, was heute in Europa, den USA und auch darüber hinaus geschieht. Der Radikalismus (ein Faschismus unter dem Deckmantel der Demokratie) breitet sich wie ein Virus aus und wir alle werden zu Opfern. Die Digitalisierung und die sozialen Netzwerke haben die Medienlandschaft verändert; die freie Rede mischt sich mit Hassreden, und die Institutionen haben keine adäquaten Mechanismen, um diesen Trend im öffentlichen Raum zu verhindern. Die Liste der getöteten Journalisten wird immer länger. Laut Bericht der UNESCO wird weltweit jeden vierten Tag ein Journalist getötet. Von 2006 bis 2017 wurden 1.009 Personen umgebracht, die sich mit dem Journalismus befasst haben. In Bosnien und Herzegowina gab es dieses Jahr 41 Angriffe auf Reporter und Verletzungen der Medienrechte. Das muss nicht verwundern, denn die Lage in der Gesellschaft spiegelt sich in den Medien. Deshalb ist es lebensnotwendig, die journalistische Tätigkeit menschlich, gerecht und verantwortungsbewusst auszuüben.

Als ich im Jahr 1993 mit unseren Kindern unsere Stadt und unser Land mit dem Bus in Richtung Zagreb und weiter nach Prag verlassen musste, hielt ich mir ein kleines Büchlein vor die Augen, damit die Kinder meine Tränen und meine Angst nicht sehen konnten, während die Polizisten meine Koffer an der Grenze durchwühlten. In diesem Büchlein von Martin Luther King fand ich diesen Spruch: Unsere Generation wird sich nicht soviel wegen der bösen Taten der schlechten Menschen sorgen wie wegen dem furchtbaren Schweigen der guten.

Auf der Reise Richtung Prag habe ich mich gefragt: Haben wir geschwiegen? Hätten wir mehr tun können? Tatsächlich haben wir aufbegehrt gegen den Faschismus, der von den Kriegstreibern in Bosnien-Herzegowina befeuert wurde. Ich erinnere mich an die LKWs, die unsere bosniakischen Nachbarn in die Lager brachten, an ihre Schreie, als sie gefoltert wurden; ich habe gesehen wie Menschen verschwinden, Moscheen, orthodoxe Kirchen, Häuser brennen, wie Menschen in Kühlwagen abtransportiert werden, wie unsere Nachbarn flüchteten und verschwanden, wie Korane vor dem Haus einer getöteten alten Frau brannten, wie lokale Gewalttäter drohten und töteten und bis heute nicht bestraft wurden; ich habe eine Welt zerbrechen und verschwinden gesehen.

Wir haben getan, was wir in diesem Moment tun konnten, wir haben mit Garantieschreiben und Fotografien geholfen, aber beharrlich verfolgt mich die Frage: Hätten wir mehr tun können? Ich weiß es bis heute nicht. Dennoch haben wir uns öffentlich aufgelehnt "Das werdet ihr nicht in unserem Namen tun, wir sind gegen den Faschismus. Ihr könnt nicht unschuldige Menschen abführen..." Alle anderen haben geschwiegen. Und ja, viele halfen heimlich, aber niemand öffentlich.

Sie haben uns als "Botschaft der Mudschaheddin" bezeichnet und als "Verräter des kroatischen Volkes", als Mitarbeiter der Geheimpolizei, jener jugoslawischen... Als alle aus den Lagern entlassen wurden, gingen wir mit den Kindern nach Prag. Mein Ehemann Neđo sagte damals: "Ich könnte vor Scham meinen Kopf nicht mehr heben, wenn ich jetzt bei diesen Faschisten bliebe, die eine gesäuberte Nation wollen". Als das Abkommen von Dayton unterschrieben war, kehrten wir nach Ljubuški zurück, doch waren wir dort Aussätzige und isoliert. Ich nahm jede Arbeit an, um zu überleben, ich habe Erdbeeren gepflückt und Flure gesäubert. Die Kinder waren Opfer unseres Engagements, mein Ehemann erkrankte und verstarb 2001, ließ uns mit den Schulden allein. Noch heute fällt es mir schwer, über diese Zeit zu sprechen. Ich erinnere mich an keine schlimmere in meinem Leben.

Über diese schlimme Zeit habe ich in dem Dokumentarfilm "Neđo aus Ljubuški" erzählt, der 2012 von Dr. Svetlana Broz, der Enkelin von Josip Broz Tito und Direktorin der Organisation Gariwo anlässlich des Preises für Zivilcourage, der posthum meinem Ehemann verliehen wurde, erstellt wurde. Seit Erscheinen dieses Films gingen ich und meine Familie durch die Hölle. Eine rechte Medienhetze, Drohungen, verbale und physische Angriffe brach über mich herein, Behinderung durch die Polizei und durch die korrupte Justiz. Wir schlossen unser Haus ab und verließen Ljubuški.

So also wird man bei uns belohnt.

Heute leben wir in Mostar, an der linken Seite der Neretva in der Tito-Straße. Ich fühle mich sicher und willkommen, solange ich nicht die rechte (kroatische) Seite der Stadt betrete. Dort wurde ich mehrmals verbal angegriffen, sogar von der Polizei im Polizeirevier, dann auf dem Markt, auf der Straße... von Drohungen in den sozialen Netzwerken ganz zu schweigen. Nach jeder meiner öffentlichen Äußerungen kam ein ganzer Schwall davon. Solche Vorkommnisse zeige ich gar nicht mehr an, denn ich weiß, dass es bei der Polizei "Wachhunde" der lokalen politischen Machthaber gibt, gegen die ich seit Jahren ankämpfe. Ich habe wegen Verleumdung gegen einige ultrarechte und hasserfüllte Medien geklagt, wegen ihrer brutalen Lügen und Kommentare und natürlich: Ich habe alle Prozesse mit der Begründung verloren, es sei keine Verleumdung sondern die "Bewertung des Gerichtes". Redefreiheit gilt für die rechten Dealer des Hasses! Und das schon im dritten Jahr seitdem sie mir die Hälfte der Rente gepfändet haben, um die Gerichtskosten zu begleichen.

Trotz alledem arbeite ich seit acht Jahren an unserem Portal Taćno.net (dt.: "richtig" oder "exakt", Anm. d. Red.), das von der Vereinigung Zentrum für kritische Meinung herausgegeben wird. Unsere Mitarbeiter und Leser sagen, dass dieses Portal "zu den wenigen Medien im postjugoslawischen Raum gehört, das die Würde des Berufsstandes zu wahren versucht und kritisch über wichtige gesellschaftliche Themen berichtet, das sich weder von politischen Interessen noch von finanziellen und nachrichtendienstlichen Strukturen vereinnahmen lässt." Auf unserem Portal veröffentlichen Menschen Texte, die unterschiedlich sind im Hinblick auf Profession, Alter, Nationalität, Glaube. Doch alle haben eines gemeinsam: Sie kritisieren offen und scharf die Regierung und die Gesellschaft, in der sie leben. Sie tun das nicht, weil sie so gerne kritisieren, sondern weil sie sich eine Verbesserung wünschen. Wir sind aus ihrer Sicht ein "Widerstandsnest" gegenüber dem herrschenden Wahnsinn in unseren Gebieten, ein "ethisches Bollwerk".

Wir haben auch eine Schule des kritischen Denkens gegründet, die schon seit zwei Jahren darauf hinarbeitet, junge Menschen zu erreichen, damit sie nicht abwandern, sondern versuchen, die Realität kritisch zu reflektieren und dementsprechend zum Frieden und zu einem humanen Zusammenleben beizutragen. Außerdem haben wir einen Verlag, in dem bereits sieben wichtige Bücher herausgegeben wurden. Darüber hinaus organisieren wir Veranstaltungen zu aktuellen Themen mit bekannten "linken" Intellektuellen. Nach all dem Durchlebten, trotz allen Problemen kann ich dennoch sagen: Es hat sich gelohnt! Um keinen Preis kann aufgegeben werden, was uns ausmacht: konsequent und moralisch zu handeln, kurz gesagt - Mensch zu sein.

Ihre Auszeichnung bestätigt mich in dieser Überzeugung.

Entschuldigen Sie, dass ich die vorgesehene Zeit überschritten habe, doch ich musste dies alles sagen – gerade hier, gerade heute und gerade Ihnen.

Nochmals: Vielen Dank.

 

Aus dem bosnischen Original von Marko Galić, Korntal und Silvija Hinzmann, Stuttgart. Bearbeitet und Vorgetragen von Gari Pavković, Stuttgart. Es gilt das gesprochene Wort.