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Foto: Danijel Grbic, Bebop Media
Foto: Danijel Grbic, Bebop Media

Dankesworte von Angela Gui, stellvertretend für ihren inhaftierten Vater Gui Minhai, Schrifsteller, Buchhändler und Verleger aus China

Hallo alle miteinander

und einen herzlichen Dank an Sie, Herr Skipis, für Ihre starken Worte und die schöne Rezitation des Gedichts meines Vaters.

Mein Name ist Angela Gui und ich bin die Tochter von Gui Minhai, der heute hier bei uns hätte sein sollen. Aber weil er wegen seines Einsatzes für die Publikationsfreiheit immer noch zu Unrecht in China im Gefängnis sitzt, nehme ich diesen Preis hier in seinem Namen entgegen.

Mein Vater war schon immer ein Schriftsteller. Er war als Kind stark kurzsichtig und weil eine Brille so teuer war, las er schließlich lieber Bücher im Haus, statt draußen zu spielen. Als Student schrieb er Gedichte, um über sein Leben zu erzählen, über die kleinen Dinge, wie Zigaretten, und gelegentlich auch über die großen Dinge, wie die Freiheit. 1988 verließ er China, um ein Postgraduiertenstudium in Schweden zu absolvieren, wo er, als im Jahr darauf das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens verübt wurde, aus Sorge, dass er bei seiner Rückkehr nicht mehr sicher wäre, auch blieb. Er wurde schwedischer Staatsbürger und begann, auf Schwedisch zu schreiben.

Als ich aufwuchs, arbeitete und reiste mein Vater viel - er schrieb Bücher und engagierte sich als Vorstandsmitglied des unabhängigen Flügels des chinesischen PEN. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte, es gäbe keinen Ort auf der Welt, an dem mein Vater nicht gewesen sei, und obwohl das beinahe stimmte, war es ihm doch noch immer nicht möglich, nach China zurückzukehren.

Im Jahr 2012 gründeten mein Vater und seine Geschäftspartner einen Verlag in Hongkong, der sich auf politische Titel spezialisierte, die auf dem chinesischen Festland verboten waren. Zwei Jahre später erwarben sie "Causeway Bay Books", eine Buchhandlung mit dem entsprechenden Spezialgebiet. Damals galt Hongkong als "Leuchtturm der Pressefreiheit", wo das nach der Übergabe der Stadt im Jahr 1997 geltende Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" dafür sorgte, dass dort so genannte "verbotene Bücher" frei veröffentlicht und vertrieben werden konnten. Touristen vom chinesischen Festland begannen die einschlägigen Buchläden mit verbotener Literatur aufzusuchen, in der Hoffnung, vielleicht neue Erkenntnisse über das zu erlangen, was in ihrem Land passierte - sie nahmen dafür auch in Kauf, dass der Inhalt solcher Schriften oft nur auf einer äußerst dünnen Quellenlage basierten.

Die Schikanen begannen verhalten. Im Jahr 2015 hatten mein Vater und seine Kollegen sich daran gewöhnt, dass man ihren Kunden die Bücher an der Grenze abnahm, dass Druckereien aus Angst vor Repressalien durch die chinesische Zentralregierung immer genauer auswählten, mit welchen Verlagen sie zusammenarbeiteten. In jenem Oktober arbeitete mein Vater hart an der Veröffentlichung eines Manuskriptes, und verbrachte einige Zeit in seinem Ferienhaus in Thailand, wo er sich besser darauf konzentrieren konnte. Als er eines morgens vom Einkaufen zurückkam, fand er am Tor einen chinesisch sprechenden Mann, der auf ihn wartete. Sie unterhielten sich kurz, stiegen in das Auto meines Vaters und fuhren dann los. Das war das letzte Mal, dass ihn jemand sah, bis er Monate später plötzlich in einem chinesischen Nachrichtensender wieder auftauchte, wo er unter Zwang gestand, Verbrechen begangen zu haben und freiwillig nach China zurückgekehrt zu sein.

Zu diesem Zeitpunkt waren auch die vier Kollegen meines Vaters in der Buchhandlung auf ebenso mysteriöse Weise verschwunden und legten in den staatlich kontrollierten chinesischen Medien ähnlich bizarre Geständnisse ab. Seit seiner Entführung befindet sich mein Vater ohne rechtlichen Vertreter oder konsularischen Beistand in chinesischem Polizeigewahrsam. Mit Ausnahme eines kurzen Zeitraums Ende 2017/ Anfang 2018 durfte ich nicht mit ihm sprechen, und derzeit kann ich nicht sicher sein, ob er überhaupt noch am Leben ist.

Im Februar dieses Jahres wurde mein Vater in aller Stille zu 10 Jahren Haft verurteilt, angeblich wegen "illegaler Weitergabe von Informationen ans Ausland". Meines Wissens haben die chinesischen Behörden bisher keinen gesicherten Beweis für diese Anschuldigung erbracht. Die chinesischen Behörden behaupten überdies, mein Vater sei kein schwedischer Staatsbürger mehr.

Während der kurzen Zeit, in der ich mit meinem Vater kommunizieren durfte, gelang es ihm, mir eine Sammlung von Gedichten zu übergeben, die er im Gefängnis geschrieben hatte. Er bat mich, zu versuchen, sie zu veröffentlichen. In einem Anflug von schwarzem Humor - oder vielleicht war es auch sein voller Ernst - meinte er, das Gefängnis habe ihn zumindest zu einem besseren Schriftsteller gemacht. In Zusammenarbeit mit dem schwedischen Verlag Kaunitz-Olsson haben wir Anfang des Jahres seine Gedichte auf Schwedisch und Chinesisch veröffentlicht, und nun arbeiten wir daran, die Gedichte ins Englische und Deutsche übersetzen zu lassen. Ich hoffe, dass Sie sie bald alle auch lesen können.

Es ist eine große Ehre zu sehen, dass die Bemühungen meines Vaters um die Meinungsfreiheit von der Palm-Stiftung so gewürdigt werden - nicht zuletzt, weil Palm selbst auch ein Buchhändler war, der enorme Opfer für das gebracht hat, woran er glaubte. Aber ich nehme diese Auszeichnung für meinen Vater auch mit großer Traurigkeit entgegen - Traurigkeit darüber, dass er nicht persönlich ausgezeichnet werden kann, wie er es verdient hätte, Traurigkeit darüber, dass er und ich nicht mehr wie früher miteinander scherzen und lachen können, und Traurigkeit darüber, dass seit seiner Entführung und der seiner Kollegen die Freiheit Hongkongs völlig zunichte gemacht wurde.

Seit in diesem Jahr das Gesetz zur "Nationalen Sicherheit" in Hongkong verabschiedet wurde, können Hongkonger nicht einmal mehr mit leeren Schildern protestieren, ohne Festnahme und Inhaftierung zu befürchten - was meinem Vater und seinen Kollegen passiert ist, ist laut Peking jetzt legal. Erst vor wenigen Wochen wurde ein neues Gesetz erlassen, um "undemokratische" Abgeordnete aus dem Legislativrat Hongkongs zu entfernen. Junge Menschen, die an Protesten teilgenommen haben, sehen keine andere Chance mehr, als nach Übersee zu fliehen und ihre Familien zu verlassen, weil ihnen die Verfolgung droht. Es scheint, als sei die Entführung meines Vaters und der anderen Buchhändler der Vorbote für noch schlimmere Dinge gewesen.

Die Situation in Hongkong zeigt, wie ernst es die chinesische Regierung mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit meint. Ich hoffe - und ich bin sicher, dass mein Vater diese Hoffnung teilen würde, wenn er um sie wüsste - dass die Verleihung dieses wichtigen Preises dabei hilft, das zu ändern, und sei ihr Beitrag auch noch so klein.

Vielen Dank.

 

Aus dem englischen Original von Annette Krönert, Dresden. Es gilt das gesprochene Wort.