PALM-STIFTUNG
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CORACON: Collectif des Radios et Télévisions Communautaires du Nord-Kivu: Tous pour la libérté de la presse et la voix des communautés!
2005 begannen 17 Radiostationen in einem losen Verbund zusammen zu arbeiten, um gemeinsam die Ausbildung ihrer Journalisten und der wenigen Journalistinnen zu organisieren, Lobbyarbeit für Pressefreiheit zu machen und nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen. Seit 2012 ist die Organisation offiziell registriert. Mittlerweile sind über 40 Radio- und Fernsehstationen in dem festen Verbund organisiert, Tendenz steigend.
Ihr Ziel ist es, via Radio und Lokal-TV zur Friedensschaffung und zur Demokratie beizutragen. Das ist gerade jetzt sehr schwierig, weil die Provinz Nord Kivu (und die Nachbarprovinz Ituri) seit Mai 2020 unter Militärherrschaft gestellt wurden (Ausgangssperre, Militärkontrollen auf den Straßen, Hausdurchsuchungen, Razzia in Redaktionen etc). Angeblich soll so die Sicherheitslage durch die Militärbesatzung verbessert werden. In Wirklichkeit sind aber die Armeemitglieder Verbrecher. Sie kooperieren mit Milizen, überfallen und bestehlen die Bevölkerung und vergewaltigen Frauen. Das Militär herrscht nun überall, es gibt keine zivile Justiz mehr, willkürliche Verhaftungen und Morde an Journalisten passieren immer wieder.
Die Radios werden von der Armee unter Druck gesetzt, die Lügen der Armee zu verbreiten von angeblichen Siegen über Milizen. Wenn die Radios sich nicht daran halten, werden die Journis verhaftet oder das Radio geschlossen. Wenn die Radios die Lügen der Armee verbreiten, wird die Bevölkerung sauer, die ständig von Milizen überfallen wird. Sie zünden dann in ihrer Wut die Radios an. Die Medien sitzen zwischen Stuhl und Bank.
Gerade hat Coracon zum Beispiel bei einem Musikfestival, das einmal im Jahr stattfindet, Aufklärungssendungen und Diskussionen zur Covid-Impfung gemacht. Die meisten Kongolesen verweigern die Impfung, weil sie an Gerüchte glauben, steril zu werden, oder dass die Weißen die Schwarzen ausrotten wollen etc. Einige Leute haben sich offenbar überzeugen lassen. Zumindest haben sie behauptet, dass sie zum Impfen gehen wollen. Das ist immerhin ein Fortschritt im Vergleich dazu, dass Leute, die sagen, dass sie sich impfen lassen, sogar angegriffen werden.
Die Netzwerkarbeit hat dabei auch eine durchaus pragmatische, alltagspraktische Komponente: Wenn die materielle Not mal wieder besonders groß ist, wie im Moment wegen der steigenden Sprit- und Lebensmittelpreise (Corona, Ukraine), kauft Coracon manchmal in großen Mengen Mehl, Öl und andere Grundnahrungsmittel ein und gibt das zu billigeren Preisen an JournalistInnen ab. JournalistInnen zählen zum armen Teil der Bevölkerung, weil die Radios kein Geld haben, um regelmäßig Lohn zu bezahlen.
Koordinator des Verbundes ist Jacques Kakule Vagheni
Jaques Vagheni wurde 1977 im Dorf Bingi im Verwaltungsbezirk Lubero geboren. Dort treiben sich seit Jahrzenten Milizen herum. Seine Eltern sind eine katholisch-evangelische "Mischehe", was hier sehr selten ist. Viele Pfarrer sind hier sehr intolerant und predigen, dass nur die eigene Religion die richtige sei. Jacques ist daher schon mit viel mehr Toleranz groß geworden als manch anderer hier.
Er ist verheiratet und hat 5 Kinder. Einer seiner Söhne kam 2012, im Krieg, zur Welt und sollte eigentlich den Vornamen eines Familienmitglieds bekommen. Die UN-Blauhelme und die kongolesische Armee konnten die von Ruanda finanzierte Miliz nach viel Angst und Schrecken für die Bevölkerung letztlich besiegt. Die Siegesnachricht kam, als der Sohn gerade geboren wurde. So haben Jacques und seine Frau Odile den Jungen kurzerhand Victor (Sieg) getauft.
Jacques hat Ökologie und landwirtschaftliche Entwicklung studiert. Im Rahmen des Studiums hat er in einem Nationalpark mit Flachlandgorillas gejobbt. Er hat die umliegende Bevölkerung über Naturschutz und Biodiversität aufgeklärt und dabei gelernt, Radiosendungen zu machen. So kam er 2004 zum Journalismus.
Als er als junger Journalist ein Praktikum bei einem Radio in einem Dorf gemacht hat, wurde dieses von Milizen überfallen. Er und andere mussten sich in einer Reihe aufstellen. Die Milizen haben dann den Leuten die Kalaschnikow an den Kopf gehalten und Scheinerschießungen gemacht. Jacques ist eine ruhige, überlegt Person. Er versteht es sei vielen Jahren, Coracon am Leben zu erhalten, obwohl Pressefreiheit im Kongo nichts zählt. Das ist eine große Leistung und verlangt jeden Tag neu zu überlegen, wie man taktisch vor geht, ohne jemanden in Gefahr zu bringen und doch Journalismus zu betreiben.
Seit 2008 ist er Direktor bei Radio Tayna (seit 2008) und seit 2013 Geschäftsführer bei Coracon. Anders als viele Leute hier, die sehr beratungsresistent und arrogant werden, wenn sie an Macht dazu gewinnen, ist Jacques immer offen zu lernen. 2015 konnte er ein Praktikum bei der Deutschen Welle in Bonn machen. Seither arbeitet er auch als Korrespondent für die DW.
Jacques setzt sich für die so genannten "kleinen Leute" ein, weil er überzeugt ist, dass sie Entscheidungen treffen, die zu Frieden und Demokratie führen, wenn sie gebildet und aufgeklärt werden. Radios hält er dafür für ein sehr gutes Instrument, da auch Menschen, die nicht lesen und schreiben können, Radio hören. Er sagt sehr oft: "faisons du bien au plus petits" (tun wir etwas Gutes für die Schwächsten). Als wir die beiden Ebola-Epidemien hatten und seit wir nun Corona haben, sorgt Jacques dafür, dass die inzwischen mehr als 40 Radios und Lokalfernsehen von Coracon Aufklärungssendungen machen. Außerdem stößt er immer wieder Sendungen an, die versuchen, die Leute von ethnischen (tödlichen) Konflikten abzubringen.
Er ist maßgeblich an den Verhandlungen mit dem Militärgouverneur beteiligt, um ihn zu überzeugen, dass das Militär die Medienleute in Ruhe lässt. Er versucht auch immer wieder, zwischen der wütenden Bevölkerung und den Medien zu vermitteln.
Auf den ersten Blick erscheint es fast etwas exotisch, einen Kommunalradioverband aus dem Ost-Kongo für den Johann-Philipp-Palm-Preis für Presse- und Meinungsfreiheit vorzuschlagen. Der Ost-Kongo steht nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit und es gibt auch keine Einzelperson, deren Arbeit als besonders preiswürdig anzusehen ist. Aber die Hintergrundinformationen zu der täglichen Arbeit von "Coracon" zeigen beispielhaft, wie dramatisch und existenziell bedrohlich journalistische Arbeit heute in einem afrikanischen Krisengebiet ist, deren Auswirkungen auch direkt in Industrieländer wie Deutschland hinein reichen.
Die große Tragik ist, dass der an Bodenschätzen reiche Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Gewalt, Willkür, Korruption und Gleichgültigkeit der Konsumenten und Konsumentinnen in den Industrieländern verhindern, dass die Einnahmen aus den Rohstoffen dafür genutzt würden, Wohlstand zu schaffen. Von den Rohstoffen profitieren die Industrieländer zum Beispiel bei der Produktion von Handys, Batterien für Elektroautos oder in Form von Tropenholz. Da wenig in den Medien über die Lebensbedingungen im Ostkongo auf die internationale Bühne dringt, gib es auch nur wenig öffentlichen Druck, dass sich die Lage verbessern würde. Die einheimischen Journalisten kämpfen täglich darum, die Bevölkerung zu informieren, obwohl sie damit teilweise ihr Leben aufs Spiel setzen.
Coracon ist der Verband von ca. 40 Kommunalradios in der Provinz Nord Kivu im Ost-Kongo. Prinzipielle Aufgabe ist es, die Journalistinnen und Journalisten der Mitglieds-Radios auszubilden sowie Lobbyarbeit für Pressefreiheit zu machen. So schickt zum Beispiel Coracon seine Ausbilderinnen und Ausbilder zu den kleinen Kommunalradios in den Dörfern im Rebellengebiet. Große Organisationen, die Medienleute ausbilden, beschränken sich meistens auf die städtischen Räume, weil sie sich (aus teilweise verständlichen Gründen) nicht in die unsicheren Gebiete trauen. Anders als die Vertreterinnen und Vertreter der Hilfsorganisationen, die mit den UN-Fliegern oder mit gut ausgerüsteten Jeeps mit Funkgeräten unterwegs sind, fahren die Coracon-Leute auf eigene Faust mit dem Auto oder Motorradtaxi mitten durchs Rebellengebiet, um zu den Radios zu gelangen, was eine große psychische Belastung mitbringt.
Die Radios sind in den Dörfern oft die einzige Info-Quelle für die Leute. Im Gegensatz zu den nationalen Medien berichten die lokalen Radios über die Gewalt in ihrer Heimat. Die Journalisten und Journalistinnen werden mal von der Armee, mal von den Milizen oder "normalen" Banditen bedroht. In den letzten Monaten wurde vier Journalisten umgebracht. Sie sind unter Dauerstress, weil sie abends nie wissen, ob sie morgens noch am Leben sind. In der Nacht gibt es in manchen Regionen ständig Überfälle. Viele Kollegen und Kolleginnen sind selbst traumatisiert, weil sie mit Gewalt aufgewachsen sind. Ein Kollege musste zum Beispiel zusehen, wie seine Mutter und seine beiden Schwestern vergewaltigt und mit der Machete geköpft wurden. Danach hatte er niemandem im Dorf, der ihn psychisch unterstützt hätte. Er gilt als Versager, weil er es nicht geschafft hat, die Frauen in seiner Familie zu beschützen.
Seit 1994 aus dem Nachbarland Ruanda wegen des Genozids Flüchtlinge in den Ostkongo gekommen sind, herrscht Unruhe. Denn mit den Flüchtlingen sind auch Völkermörder über die Grenze gezogen, die verschiedene Milizen gebildet haben und sich von den Bodenschätzen finanzieren.
Die Journalistinnen und Journalisten können dagegen nicht von ihrem Gehalt leben. Manche bekommen nur 10 Dollar im Monat. Sie müsen nebenher noch Felder bestellen oder sonst wie schauen, dass sie überleben können. Aber sie machen trotzdem einen bemerkenswerten und auch sehr mutigen Job, um die Bevölkerung zu informieren.
Seit die Provinzen Nord Kivu und Ituri wegen der schlechten Sicherheitslage im Mai 2021 unter Militärregierung gestellt wurden, ist die Lage noch schwieriger geworden. Denn das Militär steckt selbst hinter vielen Verbrechen. Statt die Leute zu beschützen, können sie sie nun noch einfacher ausrauben und ermorden, ohne dass irgendeine Justiz das je verfolgen würde.
Meine persönliche, natürlich nicht objektive Meinung ist, dass die Organisation den Preis verdienen würde. Die Menschen hier kämpfen seit Jahrzehnten so hart in ihrem Alltag, werden drangsaliert und manche massakriert. Und sie geben nicht auf, obwohl sie sich von aller Welt vergessen fühlen. Ich habe sehr großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen hier. Sie bemühen sich um Journalismus, obwohl sie jeden Tag schauen müssen, wie sie überleben, wie sie das Schulgeld für ihre Kinder bezahlen oder die Malariamedizin. Ständig trifft sie wegen Armut und Willkür-Regime ein Schicksalsschlag, und sie lassen sich nicht klein kriegen. Allein in den letzten drei Wochen haben Journalisten, die ich kenne, ihr Baby verloren (Frühgeburt, leider kein Brutkasten) oder sogar ihre Frau samt Baby (bei der Geburt gestorben).
Manchmal, wenn ich vor Wut, Trauer oder Frust total niedergeschlagen bin, weil den Menschen hier so viel Unrecht geschieht, muntern sie mich auf, obwohl ich ihnen eigentlich helfen sollte. Als ich sieben Monate ohne Pass gefangen hier war, mich über die Willkür der Immigration aufgeregt habe, manchmal Panik hatte, weil ich nicht außer Landes hätte können, wenn ich eine schlimme Corona-Erkrankung bekommen hätte, oder wenn die Rebellen wieder Goma gestürmt hätten, haben mich meine lokalen KollegInnen aufgemuntert, obwohl sie viel existenziellere Probleme haben als ich. Jacques hat dem Chef der Fremdenpolizei verklickert, dass er endlich den Pass wieder herausrücken soll, obwohl das für ihn hätte negative Konsequenzen haben können. Er wäre sogar bereit gewesen, mit mir einen juristischen Streit um meinen Pass aufzunehmen, was ihn sicherlich in eine schwierige Lage gebracht hätte.
Die Radios von Coracon mögen vielleicht nicht die international spektakulären Reportagen liefern. Aber sie sind ein Fundament der Bemühungen um Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit hier, an dem sie "ganz nebenbei" bauen, obwohl jeder einzelne Journalist/Journalistin in einer Situation steckt, in der wir EuropäerInnen längst aufgegeben hätten.
Der Johann-Philipp-Palm-Preis könnte helfen, internationale Aufmerksamkeit auf die vergessene Dauerkrise im Ostkongo zu lenken. Hier verhungern Menschen, werden massakriert und vergewaltigt, ohne dass die Weltöffentlichkeit, die von den Bodenschätzen des Landes profitiert, große Notiz davon nimmt. Es vergeht keine Nacht, ohne dass nicht ein Dorf überfallen, jemand entführt, ermordet oder ausgeraubt werden würde. Der Preis würde die jungen Journalisten enorm ermutigen, weil sie sehen würden, dass sie nicht allein sind. Denn sie fühlen sich von aller Welt aufgegeben.
(Judith Raupp und Carl-Wilhelm Macke, Journalisten helfen Journalisten e.V.)
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